Customer Experience Hebel bei Versicherungen – CEN-Xchange Februar 2012

Customer Experience in der Versicherungsbranche: Chance oder „Nice to have“?

Schaut man sich in der Versicherungsbranche um, stellt man schnell fest, dass Customer Experience vielerorts noch Neuland ist. Eine Lobby scheint noch nicht vorhanden und Mitarbeitern wie Management fehlt oft das Verständnis für die neue Sichtweise. Customer Experience ist vielen zu „esoterisch“. Der Zusammenhang von Kundenerlebnis und Firmenerfolg ist nicht einfach zu belegen. Customer Experience gilt als „nice to have“, hat aber meist keine Priorität.

Könnte die Versicherungsbranche von CX-orientierten Ansätzen profitieren? Wir finden: Auf jeden Fall! Daniel Stadelmann und Glenn Oberholzer präsentierten uns anhand der „Fallstudie Helsana – weniger Anfragen im Leistungsfall“, wie Customer Experience in der Versicherungswelt erfolgsversprechend eingesetzt werden kann. In der anschliessenden Diskussion machten wir uns Gedanken darüber, welches Herausforderungen der Versicherungsbranche sind und wo sich CX-orientierte Ansätze anbieten würden.

Helsana erweckt das CX-Feuer: Fallstudie „Weniger Anfragen im Leistungsfall“

Die Auswirkung des Kundenerlebnisses auf den Firmenerfolg zu beweisen, scheint ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu mehr Verständnis für Customer Experience zu sein. Die Chance eines entsprechenden Projekts ergab sich bei Helsana, als die Leistungsabrechnung kundenorientierter gestaltet werden sollte. Man hatte bemerkt, dass es immer dann, wenn diese verschickt wurde, sehr viele Kundenanrufe gab. Im Bezug auf die Leistungsabrechung, einem zentralen Touchpoint zu den Kunden, schien also ein ungenügendes Kundenerlebnis zu bestehen. Als die Idee entstand, das Problem auch direkt im Kontakt mit Kunden anzugehen, packten eine Handvoll Pioniere die Gelegenheit, ein CX-Projekt zu lancieren.

Ziele

  • Der Touchpoint „Leistungsabrechnung“ soll so optimiert werden, dass für den Kunden weniger Fragen entstehen und dadurch weniger angerufen werden muss.
  • Im Unternehmen soll das Bewusstsein für die Wirksamkeit von Customer Experience geweckt werden.

Die Methode

Verstehen -> Optimieren -> Innovieren -> Präsentieren

 

 

 

 

 

1. Verstehen

Es wurden 14 Kundeninterviews durchgeführt. Dabei wurden die Kunden zu ihrer Customer-Journey vom Moment des ersten Gedankens an einen Arztbesuch bis zum Zeitpunkt, an dem das Geld von der Versicherung zurück auf das Konto überwiesen wurde, befragt. Zusätzlich wurde ein Prototypentest der bereits optimierten Leistungsabrechung durchgeführt.

Dabei ergaben sich unter anderem folgende Ergebnisse:

  • Es kristallisierten sich drei Kundentypen (Personas) heraus.
  • Die Customer-Journeys deckten tatsächlich negative Emotionen in Bezug auf die Leistungsabrechnung auf. Deren Ursachen lagen jedoch oftmals nicht in der Leistungsabrechung selbst, sondern weiter vorne in der Customer Journey.
  • Es zeigte sich Verbesserungspotential beim Layout. Ausserdem zeigten die Kunden grosse, grundsätzliche Unsicherheiten bezüglich des Krankenversicherungssystems.
  • Durch den Prototypentest ergaben sich zahlreiche Verbesserungsvorschläge in Bezug auf Darstellung und Verständlichkeit der Leistungsabrechnung.

2. Optimieren

In einem Workshop wurde zusammen mit Business Analysten und weiteren Stakeholdern eine verbesserte Version der Leistungsabrechnung konzipiert und direkt auch vom Projektteam in den Entwicklungsprozess eingespiesen.

3. Innovieren

In einem zweiten Workshop mit weiteren Teilnehmern wurden weitere Ideen generiert, die über die Leistungsabrechnung hinaus gingen. Diese wurden durch die Erkenntnisse über die gesamte Customer Journey stimuliert.

4. Präsentieren

Anhand einer Vernissage bestehend aus Customer-Journeys, Flipcharts und weiteren Arbeitsdokumenten, wurden die Ergebnisse der Interviews und Workshops vorgestellt. In über 30 firmeninternen Führungen wurden die Resultate des Projekts und der Weg zu diesen präsentiert. Viele Mitarbeiter sahen dabei das erste Mal eine konkrete und anwendbare CX-Methode vor sich, welche tatsächlich Ergebnisse zeigte. Der erste Schritt zu mehr Verständnis für Customer Experience war getan.

So what? Die Wirkung

  • Das Verständnis für Customer Experience wurde verbessert.
  • Diverse Personen innerhalb Helsana wurden auf das Thema sensibilisiert.
  • Der Nutzen wurde greifbar.
  • Der Vorwurf der Esoterik wurde widerlegt.

Aber: Es gibt noch viel zu tun!

…der Einfluss auf den Firmenerfolg ist noch nicht beweisbar. Es muss zuerst ausgewertet werden, ob es wirklich weniger Anrufe gibt.

… andere Probleme scheinen immer noch wichtiger zu sein als Customer Experience.

…es gibt Widerstand der Fachspezialistenteams gegen Lösungen von aussen („Not invented here Syndrom“).

…es dauert sehr lange, bis das Thema Customer Experience wirklich verankert ist.

Diskussion Customer Experience Hebel in der Versicherungsbranche

Nach der Fallstudie haben wir das Feld weiter aufgespannt und darüber diskutiert, was grosse Herausforderungen für Versicherungen sind und für welche davon sich CX-orientierte Ansätze anbieten. Folgende Stichworte stachen in der Diskussion heraus:

  • Verständnis für CX-Potential fehlt
  • Fehlende Innovationskultur
  • Kostensatzdenken: Man ist zu sehr auf die Kostenminimierung fokussiert.
  • Silodenken: Die Ziele sind oft nur lokal und nicht global in Kontext gesetzt. Man denkt kurzfristig statt langfristig. Der Fokus liegt auf den Prozesskosten, da dort schneller ein Nutzen sichtbar wird. Der Kundennutzen steht nicht im Mittelpunkt, da der direkte Einfluss auf die Prozesskosten nicht schnell genug sichtbar wird und die Kausalität nicht klar scheint.

Info: Wir planen einen Workshop zum Thema. Nähere Informationen folgen nächstens hier. Interessiert? Anfragen zur Teilnahme beantwortet gerne Helmut Kazmaier unter helmut.kazmaier@stimmt.ch oder 079 830 15 97.