Nach Customer Experience folgt die Relationship Economy
Von der gläserlosen Brille zur griechischen Taverne – was ist das Endziel einer Firma?
Unsere Sommerferien verbringen wir meist in unserer Ferienwohnung in Griechenland. Seit Jahren besuchen wir unsere Lieblings-Taverne.
Sie ist nicht besonders pittoresk gelegen oder gleich um die Ecke. Sie ist auch nicht besonders günstig, und es gibt auch keine anderen Gerichte als in den meisten anderen Tavernen. Was macht diese Taverne zu unserer Lieblings-Taverne?
Zum einem die hohe Qualität der Moussaka und Gavros, vor allem aber die verlässliche und persönliche Betreuung durch ein sehr konstantes Team. Wir wissen: Dem Personal liegt etwas an uns. Sie haben Freude daran, wenn wir wieder kommen und auch daran, sich bei den kostenlosen Desserts am Ende jeweils selbst zu übertreffen.
Im Gegensatz dazu war ich genau einmal in einem Hard Rock Café. Als Vorzeigebeispiel für die Experience Economy war das Erlebnis zwar wirklich toll, mit all den Memorabilien und diesem Gefühl, ein Teil vom Rock’n’Roll zu sein. Aber hat es mich danach noch einmal dahin gezogen? Nein.
Natürlich: Die Taverne liegt alleine an einer Hauptstrasse im Norden von Griechenland, und die Eigentümerfamilie arbeitet selbst mit. Das Unternehmen «Hard Rock Café» hat über 160 Filialen. Doch selbst der Milliardenumsatz des Imperiums wirkt klein im Vergleich zum Umsatz von tausenden Lieblings-Restaurants, die über Jahre unser aller Treue sicher sind.
Gute Kundenerlebnisse sind nicht das Endziel für eine Firma. Es geht darum, mit Kunden Beziehungen aufzubauen: Geschäftsbeziehungen.
Seit über 20 Jahren unterstützen wir von Stimmt Unternehmen dabei, sich so aufzustellen, dass über gute Interaktionen und Produkte Kunden überzeugt werden und es auch über viele Jahre bleiben. Und dabei ist mir je länger, je klarer geworden: Gute Kundenerlebnisse sind nicht das Endziel für eine Firma. Es geht auch nicht nur darum, Kunden einen monetären Mehrwert zu geben. Es geht darum, mit Kunden Beziehungen aufzubauen: Geschäftsbeziehungen.
Gerade in gesättigten Märkten ist das die effektivste und effizienteste Art, langfristig profitabel zu sein.
Ist das der schnellste Weg zu Marktdominanz und langfristigen Erfolg?
Sollten sich alle Firmen auf langfristige und werthaltige Kundenbeziehungen ausrichten? Nein, denn es gibt viele Wege zum Glück. Aber gerade in Branchen, bei denen Neukundenakquisition und das Aufsetzen einer Kundenbeziehung teuer und schwierig sind (gesättigte Märkte, Nischen, B2B), macht es Sinn, einmal Überzeugten weiterhin ein gutes Gefühl zu geben.
Relationship Economy heisst also die nächste Stufe, die auf Customer Experience folgt.
Gute Kundenbeziehungen basieren neben der Zufriedenheit mit der Firma und ihren Produkten auch auf Zuverlässigkeit und Vertrauen. Diese zwei letzten Dimensionen müssen meines Erachtens vermehrt in den Fokus rücken, wenn wir uns Richtung Relationship Economy bewegen.
Dabei gibt es verschiedene Arten von Vertrauen.
Nach dem institutionellen Vertrauen (die erwähnte Taverne gibt es schon länger und ist von der Gesundheitsbehörde kontrolliert) und dem transaktionellen Vertrauen (gutes Essen, freundliches Personal) entsteht über zuverlässige und engagierte Interaktionen im Laufe der Zeit das Beziehungsvertrauen (ich kann mich auf das Personal verlassen, es zieht mich nicht über den Tisch).
Genau da liegt auch die grosse Chance im Bereich Customer Experience Management.
Setzt man auf langfristige Beziehungen, werden gute Interaktionen zur Grundvoraussetzung und Hebel für Vertrauen, das der Differenzierung im Markt dient.
Dabei geht es nicht mehr nur um die Gestaltung von Interaktionen, sondern vielmehr vom sozialen System der «Firma». Damit ich Beweise habe, dass das Restaurant es ernst mit mir als Gast meint, muss an den verschiedenen Touchpoints Flexibilität vorhanden sein (auch mal ein falsch bestelltes Gericht zurücknehmen, je nach Stimmung das Dessert verändern, auch mal den Tisch umstellen). Das wiederum setzt ein Führungs- und Geschäftsverständnis voraus, das diese Freiheiten als Chance und nicht als Gefahr sieht. Denn am Ende des Tages führt die Extra-Kugel Eis zu Mini-Begeisterung und erneutem Umsatz, die Verrechnung des falschen Menüs dagegen zu einem kurzfristigen Gewinn ohne die Aussicht auf zusätzlichen Umsatz.
Beweise dafür, dass eine langfristige Beziehung über kurzfristigem Gewinn steht, haben wir in der Pandemie ab und zu gesehen. Die Mobiliar zum Beispiel hat ihren versicherten Restaurants unbürokratisch unter die Arme gegriffen und sich nicht hinter Kleingedruckten und Ausschlussklauseln versteckt. Die Migros hat ihr Nachbar-bringt-Einkauf Programm wieder aus der Mottenkiste geholt.
Auch wir haben dieses Jahr in Griechenland wieder unsere Lieblings-Taverne besucht – ein paar Mal mehr als die letzten Sommer und mit grosszügigerem Trinkgeld.