Relationship Economy
Beim Haarschnitt und beim Wein verlasse ich mich seit Jahren auf die gleichen zwei Personen. Ich kann ihnen blind vertrauen, und es käme mir nie in den Sinn etwas daran zu ändern. Doch wie ist es ihnen gelungen mich langfristig zu begleiten? Die Theorie kennt drei Dimensionen, welche die Basis für langfristige Kundenbeziehungen bilden: Zufriedenheit, Zuverlässigkeit und Vertrauen.
Zufriedenheit als Voraussetzung für Folgekäufe
In der Praxis gibt es sowohl beim Haarschnitt wie auch beim Weinkauf ein erstes Mal. Als Kunde ist man besonders aufmerksam und beurteilt kritisch, ob die wichtigsten Basisanforderungen erfüllt sind. Der Salon muss z.B. sauber sein, die Coiffeuse/der Coiffeur freundlich, und der Haarschnitt muss den eigenen Vorstellungen entsprechen. Dasselbe gilt beim Weinkauf: Der Laden und das Sortiment müssen ansprechend sein, die Weinberatung kompetent, und der Wein muss schmecken. Positive Erlebnisse beim Erstkontakt, welche nicht erwartet werden, verstärken die Zufriedenheit: ein Massagestuhl und Kaffee mit Schöggeli beim Coiffeur oder Neukundenrabatt und Gratisprobe beim Weinhändler. Sofern ich nach dem Erstbesuch zufrieden bin, ist die Grundvoraussetzung erfüllt, dass ich wieder komme. Zufriedenheit alleine ist jedoch noch nicht ausreichend, eine langfristige Beziehung zu etablieren.
Zuverlässigkeit = konstante Zufriedenheit
Im Rückblick haben es meine Coiffeuse und mein Weinverkäufer geschafft, meine Wahl jedes Mal zu bestätigen. Die Ergebnisse waren zuverlässig immer gut, so dass ich konstant mit ihren Dienstleistungen zufrieden war. Ich habe gelernt, dass ich mich auf sie verlassen kann, und sie haben von mir gelernt, was mir wichtig ist. Ich muss mich nicht immer wieder von Neuem erklären, weil sie sich gemerkt haben, auf was ich Wert lege. So weiss mein Weinberater mittlerweile, dass ich eine Präferenz für französische und italienische Weine habe, diese kräftig sein dürfen und preislich eine gewisse Schmerzgrenze nicht überschreiten sollen. Meine Coiffeuse wiederum fragt mich direkt, ob sie den Schnitt wie beim letzten Mal – beziehungsweise wie immer – machen dürfe, nimmt Wachs anstatt Gel und frisiert die Haare am Schluss automatisch auf die richtige Seite.
Gegenseitiges Vertrauen führt zu langfristigen Beziehungen
Die zuverlässigen und engagierten Interaktionen über die Zeit und das konstant gute Ergebnis haben dazu geführt, dass die beiden Personen für mich im Kontext Weinkauf bzw. Haare schneiden gesetzt sind. Ich vertraue ihnen und freue mich jeweils auf die Begegnung. Auch sie haben gelernt, sich auf mich zu verlassen und mir vertrauen zu können. Sie geben mir jeweils ein gutes Gefühl, und ich spüre, dass sie meine Präsenz schätzen. Einzelne Erlebnisse über die Zeit haben das Vertrauen weiter verstärkt: So hat mein Weinberater mein Budget mehrmals nicht maximal ausgeschöpft, weil er mir eine vernünftigere Alternative bot. Gut, ich habe dann mit dem Eingesparten trotzdem noch etwas gekauft, aber das Beispiel hat mir gezeigt, dass mein Weinberater an mir interessiert ist und es ihm nicht um Umsatzmaximierung geht. Bei meiner Coiffeuse habe ich erlebt, wie sie vor meinem Termin einer nicht zufriedenen, langjährigen Kundin die Haare etwas nachgebessert hat. Als die Kundin dafür etwas zahlen wollte, musste sie ziemlich insistieren, dass sie das zusätzliche Geld auf keinen Fall wolle. Obwohl nur beobachtet, hat es mein Vertrauen verstärkt, dass ich in einem solchen Fall ähnlich behandelt werden würde.
Langfristige Kundenbeziehungen sind nicht jedermanns Sache
Sowohl aus Kunden- wie auch Firmensicht ist Relationship Economy nicht immer der Königsweg. Als Kunde möchte ich nicht in jedem Kontext auf eine langfristige Beziehung setzen und agiere teilweise bewusst auch opportunistisch und transaktional. Bei den Firmen ist es genau gleich: Nicht alle Geschäftsmodelle sind auf Langfristigkeit ausgerichtet. Kurzfristige Gewinnoptimierung kann das erklärte Ziel sein. Der Relationship Economy Ansatz ist insbesondere für Branchen geeignet, in welchen Neukundenakquisition und das Aufsetzen einer Kundenbeziehung teuer und schwierig sind (in gesättigten Märkte, in Nischen, im B2B-Umfeld).
Im Hinblick auf die Themen Haare schneiden und Wein kaufen mag ich behaupten, dass sich die langfristige Beziehung bisher für beide Seiten gelohnt hat, und ich hoffe sehr, dass mich die beiden mit ihren wertvollen Dienstleistungen noch lange begleiten werden!