«Wir sehen den grössten Hebel von CEM darin, konkrete Projekte zu unterstützen»
Ein Interview mit Andreas Unternährer, Teamleiter Customer Experience Management der Suva und Glenn Oberholzer, Partner und Experte für Kundenfokus von Stimmt
Glenn Oberholzer: Res, ich kann mich noch gut an die ersten Customer Experience Projekte mit euch 2017 erinnern. Damals wurde der Ansatz und auch die Resultate stirnrunzelnd zur Kenntnis genommen. Heute spricht euer CEO sogar im Kundenmagazin über die konkreten Erfolge und die Wichtigkeit von Kundenzentrierung. Was geht dir dabei durch den Kopf?
Andreas Unternährer: Ich bin vor allem stolz darauf, dass die Suva diesen Weg mit Konsequenz eingeschlagen hat. Denn das ist nicht selbstverständlich: Unsere Kunden müssen sich zwingend bei uns versichern, haben also keine Wahl. Da wäre es ein Leichtes, sich um andere Dinge als Customer Experience zu kümmern. Ausserdem sind wir ein Unternehmen mit über 4’000 Mitarbeitenden und einem starken Hauptsitz, da ist die Gefahr noch grösser, Kunden nicht immer genug mitzudenken.
Daniela Bassi hat als Abteilungsleiterin Kundenmanagement und Kommunikation den Stein vor drei Jahren ins Rollen gebracht, als wir uns in einer kleinen Gruppe mit Design Thinking auseinandersetzten. Sie war vom Ansatz so überzeugt, dass ab da klar war, die Suva muss diesen Weg bewusst einschlagen.
Glenn Oberholzer: Wann hat es denn Klick gemacht bei der Suva? Was war der Tipping Point?
Andreas Unternährer: Ein sicher prägender Moment war die Kaderveranstaltung vor zwei Jahren, bei der alle Führungskräfte der Suva sich während 1 ½ Tage intensiv mit Human Centered Design und Design Thinking auseinandergesetzt haben. Wir haben dabei anhand eines Beispiels die Phasen entlang des Design Thinking Prozess durchgespielt und den Perspektivenwechsel bewusst gemacht. Da dies zu neuen und sinnvollen Lösungsansätzen geführt hat, war das für viele Führungskräfte ein grosses Aha: Es lohnt sich, Herausforderungen auch aus Kundensicht zu betrachten.
Nun ist es aber nicht so, dass Kundenzentrierung immer und überall die erste Priorität ist. Wir haben immer noch einen Weg vor uns und müssen jeden Tag Überzeugungsarbeit leisten.
Glenn Oberholzer: Wie macht ihr das?
Andreas Unternährer: Wir kümmern uns mittlerweile im Fünfer-Team bei der Suva um das Thema. Dabei haben wir verschiedene Schwerpunkte. Kundenwissen zu erheben und zugänglich zu machen ist dabei ein Teil. Wir sehen unsere Aufgabe darin, das bereits vorhandene Wissen zu konsolidieren und zur Verfügung zu stellen. So schaffen wir Verbindungen, damit das Rad nicht immer neu erfunden werden muss.
Ein zweiter Schwerpunkt ist die Beratung und die Unterstützung von Projekten, die aus Kundensicht relevant sind. Wir facilitaten, moderieren, bringen Kundenwissen ein. Hier arbeiten wir auch mit externen Partnern wie Stimmt zusammen, damit wir die Menge an Anfragen bewältigen können.
Schliesslich führen wir noch Ausbildungen durch. Wir haben dabei verschiedene Module für verschiedene Zielgruppen: von einer eintägigen Einführung bis zu einem sechstägigen HCD (Human-centered Design)-Kurs. Auch dies ist wichtig, um das Thema in der Firma zu verankern.
Das hat Wirkung. Mittlerweile sind Schlagwörter wie Customer Journeys, Personas oder Design Thinking mit Sinn gefüllt. Immer mehr Projekte wenden diese Konzepte an und entwickeln sie weiter.
Glenn Oberholzer: In anderen Unternehmen sehen wir oft, dass dieser Enthusiasmus für Kunden oft in ganz vielen, unkoordinierten Initiativen mündet. Dabei ist Konsistenz wichtig, um ein übergreifend gutes Kundenerlebnis zu ermöglichen. Wie geht ihr damit um?
Andreas Unternährer: Wir stellen ebenfalls fest, dass bei uns einzelne Initiativen gestartet werden, die noch nicht so gut koordiniert sind, aber wir versuchen diese so gut wie möglich einzufangen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe von uns. Wir sind möglichst früh noch vor einem Vorprojekt bei den grösseren und kleineren Vorhaben präsent, um zu erklären, wann und wie Kundeneinbezug und kundenzentrierte Methoden Sinn machen – und wann eben auch nicht. Wir zeigen dabei, wo bereits Kundenwissen vorhanden ist. Mit Stimmt zusammen haben wir ein Toolkit erarbeitet und Templates für CEM. Diese Standards helfen uns nun, dass alle vom Gleichen reden und wir so auch eine Vergleichbarkeit haben und Lücken entdecken. Mittlerweile haben wir für alle Customer Journeys der verschiedenen Stakeholder eine klare Sicht darüber, was wir wissen und was wir angehen müssen.
Glenn Oberholzer: In deinem Team laufen auch viele der klassischen Brand- und CX Tracking Massnahmen. Trotzdem habt ihr nicht – wie andere Unternehmen – mit dem Aufbau eines Echtzeit-Messsystems begonnen, sondern damit, die Organisation zu befähigen und zu unterstützen. Wieso?
Andreas Unternährer: Unsere Kundenzufriedenheitswerte waren schon immer sehr hoch. Dies immer wieder aufzuzeigen ist wichtig, bringt aber der Organisation per se wenig. Wir haben aber gesehen, dass gerade in der Entwicklung neuer Lösungen die Kundensicht oft nicht zentral war. Da sehen wir einen grösseren Hebel. Mittlerweile haben wir für die aus Kundensicht wichtigsten Customer Journeys regelmässige Trackings. Das hilft natürlich in der Priorisierung zukünftiger Vorhaben.
Glenn Oberholzer: Du sprichst die Zukunft an. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass viele etablierte CEM Teams an Wichtigkeit eingebüsst haben oder sogar aufgelöst wurden. Wie stellst du sicher, dass ihr weiterhin einen wichtigen Mehrwert für die Suva bieten könnt?
Andreas Unternährer: Ich denke, es sind vor allem zwei Dinge, die uns als CEM Team auch in Zukunft unverzichtbar machen.
Erstens gibt es bei uns keine Stelle, die die Kundensicht und das Kundenwissen ganzheitlich sammelt und zur Verfügung stellen kann.
Zweitens können wir durch diese Gesamtsicht sowohl in strategischen Diskussionen als auch in Projekten konkret unterstützen und so in der Strategie wie in Projekten die Entscheidungssicherheit erhöhen. Das wiederum heisst, dass wir in Zukunft wohl strategischer werden, dabei aber die Rolle des Enablers für Projekte und die Organisation weiterhin innehalten müssen. Denn wichtig ist, dass wir nahe am Business bleiben und immer auch direkten Mehrwert stiften.
Glenn Oberholzer: Du hast erwähnt, dass es noch ein paar Jahre geht, bis eure Mission erreicht wird. Was hättest du gerne, was in vier Jahren in eurem Kundenmagazin steht?
Andreas Unternährer: In vier Jahren sollte das Thema in der Organisation so verankert sein, dass man nicht mehr darüber schreiben muss. Ich fände es toll, wenn das Kundenmagazin – und das Mitarbeitermagazin – vor allem die Geschichten von echten Kunden erzählt, die im Kontext Unfall und Prävention Herausforderungen meistern. Denn am Ende des Tages geht es bei uns darum, für Unternehmen und Verunfallte die Folgen eines Unfalls für alle so erträglich wie möglich zu machen und Unfälle und das Leid daraus zu verhindern. Auch wenn wir einen gesetzlichen Auftrag haben, wünsche ich mir, dass wir so wenig wie möglich als staatliche «Anstalt», sondern vielmehr als kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen wahrgenommen werden.
Andreas Unternährer ist seit 14 Jahren bei der Suva tätig. Er leitet das Team Customer Experience Management.