Vertrauen – Die Grundlage jeder erfolgreichen (Geschäfts-) Beziehung

Vertrauen - Die Grundlage jeder erfolgreichen (Geschäfts-) Beziehung

Foto von Clay LeConey auf Unsplash

«Vertrauen ist die Achillesferse der Digitalisierung», so Ron Hofer, Customer Experience Stratege und Spezialist für die Schaffung und den Erhalt von Vertrauen in Kundenbeziehungen. Im Interview spricht Ron Hofer über das Thema Vertrauen in Kundenbeziehungen. Spoiler: Man kann sie bewusst vertrauensbildend gestalten! 

Wie würdest du Vertrauen definieren, und welche Rolle spielt es deiner Meinung nach in zwischenmenschlichen Beziehungen?

Ron Hofer: Aus den vielen wissenschaftlichen Definitionen von Vertrauen sticht für mich eine hervor, weil sie sehr umfassend und super einfach ist: Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann definierte Vertrauen als «confidence in one’s expectations»[siehe Quelle]. Das ist für mich die Grundlage für die Trust by Design Methodologie.

Diese Grundlage passt gut zu aktuellen Modellen, die erklären, wie der Mensch generell seine Umwelt begreift. Wenn wir auf unser Smartphone schauen und währenddessen die Strasse entlang laufen, kann man das exemplarisch erleben. Wir schauen nicht auf den Weg, um sicherzustellen, dass der Untergrund fest genug ist, kein plötzliches Hindernis auftaucht oder sich kein Loch auftut. Wir erwarten mit ausreichender Sicherheit, dass sich der Boden beim nächsten Schritt so verhält wie beim letzten und gehen weiter ohne hinzusehen! Diese Annahme, dass unsere Erwartungen erfüllt werden, definiert Niklas Luhmann als Vertrauen. 

Wenn wir dann mal die Erfahrung machen mussten, dass doch ein Laternenmast im Weg stand, lernen wir daraus und passen das Vertrauen in diese Erwartung an. Erfahrungen helfen, unser Vertrauen immer wieder anzupassen. Deswegen ist die Gestaltung von Erfahrungen (Stichwort Experience Design) auch so wichtig!

Welche Faktoren sind deiner Meinung nach entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und aufrechtzuerhalten?

Ron Hofer: Wenn wir verstehen wollen, wie wahrscheinlich eine Annahme eintrifft, sind zwei Fragen entscheidend: Kann die betreffende Person oder Company meine Erwartung erfüllen, und will sie sie erfüllen? Wir schätzen also ein, ob diese Person oder Company die notwendigen Fähigkeiten und die richtige Motivation hat. Man könnte sagen, das WIE und das WARUM werden hinterfragt, um das WAS vorherzusehen.

Welche Auswirkungen hat ein Mangel an Vertrauen auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene in einer Gesellschaft?

Ron Hofer: Es gibt spannende Forschungsergebnisse, die eine starke Korrelation von Vertrauensfähigkeit der Bevölkerung und dem Bruttosozialprodukt aufzeigen. Eigentlich logisch. Durch fehlendes Vertrauen werden Interaktionen, Transaktionen und Beziehungen sehr viel aufwendiger. Man muss mehr und bewusst kontrollieren. Zum Beispiel die Sicherheitskontrolle an Flughäfen – ein riesiger Aufwand an Zeit und Ressourcen – kompensiert fehlendes Vertrauen. In anderen Fällen ist an einem gewissen Punkt der Aufwand so gross, dass sich die Interaktion nicht mehr auszahlt. Man verzichtet auf eine Geschäftsbeziehung. 

Welche Rolle spielt Vertrauen in Führungspositionen, und wie beeinflusst es die Leistung von Teams und Organisationen?

Ron Hofer: Lenin wird gerne mit «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» zitiert. Interessanterweise gibt es keinen einzigen Nachweis für das Zitat. Was er aber oft gesagt hat, war «Vertraue, aber kontrolliere danach». Neue Arten der Zusammenarbeit basieren auf diesem Grundsatz, indem sie begrenzten Vertrauensvorschuss vorsehen. Was meine ich damit? Nehmen wir zum Beispiel SCRUM als Methode. Das Scrum Team hat einen Vertrauensvorschuss von 2 oder 3 Wochen, in denen es, ohne kontrolliert zu werden, arbeiten kann. Danach wird aber bewertet, was es erreicht und gelernt hat. Klar definierte Erwartungen, ein begrenzter Vertrauensvorschuss und die strukturierte nachträgliche Kontrolle und Lernprozesse sind die Schlüssel zum Erfolg.  

Das funktioniert übrigens auch bei der Kindererziehung! Was hat sich meine kleine Tochter gefreut, als sie das erste Mal alleine zum Supermarkt gehen durfte, um einzukaufen. Begrenzter Vertrauensvorschuss ist extrem wirksam, um Vertrauen aufzubauen, und zwar für beide Partner! Das Selbstvertrauen meiner Tochter wurde gestärkt, und mein eigenes Vertrauen in sie wurde ebenfalls vertieft.

Dabei spielt Konsistenz eine enorm wichtige Rolle. John Cleese, einer der Mitbegründer von Monty Python und früherer Lehrer, meinte einmal, dass es eigentlich egal war, ob er Schülerinnen und Schüler unfreundlich oder freundlich behandelt hat. Für eine gute Jahresbewertung  durch seine Klasse war es einzig ausschlaggebend, wie konsistent er freundlich oder unfreundlich war. Die Beständigkeit war in seiner Wahrnehmung der hauptsächliche Treiber für die nachträgliche Bewertung. Das ist kein Wunder: Konsistent gleiche Erfahrungen bewirken ein starkes Vertrauen darein, dass es auch beim nächsten Mal so sein wird. Anstrengend wird es, wenn man nicht genau weiss, was passieren wird.

Kannst du ein persönliches Beispiel teilen, in dem du Vertrauen aufgebaut hast, und welche Schritte du unternommen hast, um dies zu erreichen?

Ron Hofer: In meiner früheren CX Beratungsagentur USEEDS° sind wir oft in Vorleistung gegangen, um potentiellen Kundinnen und Kunden zu ermöglichen Vertrauen in unsere Fähigkeiten aufzubauen.

Aber noch viel wichtiger dabei war, dass die Kundschaft auch Vertrauen in unsere Motivation aufgebaut hat. Mit unserer Vorleistung haben wir den Kundinnen und Kunden gezeigt, dass wir an einer langfristigen Beziehung interessiert sind – kurzfristig hätte sich die Vorleistung offensichtlich nicht gelohnt. Und langfristig kann die Beziehung nur sein, wenn die Kundinnen und Kunden zufrieden bleiben. 

Welchen Einfluss hat Vertrauen auf den Geschäftserfolg? 

Ron Hofer: Vertrauen spielte schon immer eine wichtige Rolle in Geschäftsbeziehungen. Es gibt aber drei Trends, die dafür sorgen, dass das Thema Kundenvertrauen zukünftig bewusster gestaltet und gemanagt werden muss.

Einerseits basieren Geschäftsmodelle immer mehr auf langfristigen Kundenbeziehungen in Memberships und Subscription Modellen. Für sie ist eine aktive und lange Kundenbeziehung zwingende Voraussetzung und Kundenvertrauen ein starker Hebel.

Zum anderen entwickelt sich unsere Servicegesellschaft rapide in eine Delegationsgesellschaft. Die Kundschaft erwartet nicht mehr nur die Vereinfachung von Tätigkeiten, sondern möchte immer komplexere Aufgaben komplett delegieren. Ein Extrembeispiel ist das autonome Fahren, indem Autofahren an sich delegiert wird. Um als Kundin oder Kunde die bequemen Delegation Services zu nutzen, braucht es ein tiefes Vertrauen, dass der Serviceanbieter die richtigen Fähigkeiten hat und – noch viel wichtiger – in unserem Sinne handeln wird.

Der dritte Trend ist der rasante Fortschritt in der Entwicklung und mittlerweile auch Anwendung von künstlicher Intelligenz. Wir können schon jetzt in vielen Bereichen die Ergebnisse von künstlicher Intelligenz gar nicht mehr prüfen oder kontrollieren. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Der Routenplaner meldet einen Unfall auf der Strecke und empfiehlt eine Alternativroute. Wir haben keine Möglichkeit diese Empfehlung zu überprüfen und werden den coolen Service nur nutzen, wenn wir auf die Fähigkeiten und die richtige Motivation des Service Anbieters vertrauen.

Die Trust Proposition von Services und Produkten wird mit diesen Trends mindestens so wichtig werden wie deren Value Proposition. 

Wie können Unternehmen Vertrauen bei ihren Kundinnen und Kunden aufbauen, und welchen Einfluss hat Vertrauen auf den Geschäftserfolg?

Ron Hofer: Um das zu erklären, müsste ich meine gesamte Methodologie «Trust by design» vorstellen :) Aber in Kürze zwei entscheidende Punkte:

Wenn wir Kundenvertrauen aufbauen wollen, arbeiten wir mit Kundenerwartungen anstelle von Kundenerfahrungen. Wir erinnern uns: «Trust is confidence in one’s expectations.» Wir müssen verstehen, welche positiven und negativen Erwartungen die Kundinnen und Kunden haben, wenn sie sich mit einem Angebot oder einer möglichen Beziehung beschäftigen, und wie sicher sie sind, dass diese Erwartungen auch eintreffen.

Im nächsten Schritt können wir dann das Kundenvertrauen in positive Erwartungen stärken, und das Vertrauen in die negativen Erwartungen reduzieren. Es ist daher wichtig zu verstehen, welche Vertrauensquelle wir gestalten sollten. Der Mensch hat ein faszinierendes Repertoire an Quellen dafür. Die bekannteste Quelle ist sicherlich die bisherige Erfahrung der Kundinnen und Kunden («das war schon immer so»), aber auch Vertrauenssignale (das Interesse an langfristiger Beziehung im Beispiel vorher), die Erfahrungen anderer, inter-subjektive Erfahrungen («welche Muster kann man erkennen, wenn man die Erfahrung von vielen anderen betrachtet») oder die bewusste Analyse von Kausalketten («die Autos sind schon in Bremerhaven, also vertraue ich auf eine kurze Lieferzeit«) werden genutzt, um Vertrauen in Erwartungen zu stärken.

Auf Basis dieser Vorarbeit kann man dann Massnahmen ableiten, um das Kundenvertrauen zu stärken. In der Trust by Design Methodologie gibt es dafür als Inspiration unter anderem sogenannte «Trustpatterns» – best practice Beispiele aus der Industrie.

Inwieweit unterscheidet sich Vertrauen in virtuelle oder Online-Beziehungen von Vertrauen in persönlichen Begegnungen?

Ron Hofer: Virtuell stehen uns natürlich einige Sinneswahrnehmungen nicht zur Verfügung. Wir können das Verkaufspersonal nicht sehen, das Produkt nicht «begreifen» und sehen nicht, wie es im Lager des Online-Shops zugeht. Andererseits ermöglicht die digitale Welt völlig neue Wege, Vertrauen aufzubauen, insbesondere die inter-subjektive Wahrnehmung – die geteilten und analysierten Erfahrungen anderer mit dem Verkäufer oder Produkt.

Welche Herausforderungen können auftreten, wenn Vertrauen einmal gebrochen wurde, und wie kann es möglicherweise wiederhergestellt werden?

Ron Hofer: Dafür ist es hilfreich zu verstehen, was beim Vertrauensbruch passiert. Wir hatten tiefes Vertrauen in bestimmte Erwartungen. Im Moment des Bruchs mussten wir erleben, dass unsere Erwartung trotz hohem Vertrauen nicht erfüllt wurde. Das ist beunruhigend (ist meine Fähigkeit, Verhalten vorherzusehen nicht gut genug? Hat mein Gegenüber mich absichtlich Falsches vorhersehen lassen?). Es zwingt uns vom unterbewussten Beurteilen und Entscheiden in ein bewusstes «sich damit beschäftigen müssen». Und das ist mühsam, aufwendig und kostet Energie.

Dieser Moment muss aber nicht nur negativ für eine Geschäftsbeziehung sein. Wir haben im Moment des Vertrauensbruchs eine hohe Aufmerksamkeit des Kunden und können diese nutzen, um das Vertrauen sogar zu stärken. Dabei ist es wichtig, nicht nur in «Kompensation» zu denken («Wir schicken Ihnen sofort ein neues Gerät zu!»), sondern vor allen Dingen zu erklären, warum das bisherige Vertrauen nicht falsch war. («Wir haben diesen sehr ungewöhnlichen Fall überprüft und werden dafür sorgen, dass dies nicht nochmal passieren kann. Ein Ersatzgerät ist schon auf dem Weg zu Ihnen, ausserdem …»)

Wie beeinflusst das Vertrauen in sich selbst – oder das Fehlen davon – unsere Lebensentscheidungen?

Ron Hofer: Wir entscheiden uns am Tag ca. 35.000 mal, und in jeder dieser Entscheidungen spielt Vertrauen eine ausschlaggebende Rolle. Wenn wir uns entscheiden, haben wir (meist unterbewusst) eine Balance aus positiven und negativen Erwartungen im Kopf, die diese Entscheidung mit sich bringen wird. Natürlich sind nicht alle diese Erwartungen gleichwertig. Hier kommt das Vertrauen ins Spiel. Wir bewerten unsere Erwartungen nach Impact (welche Auswirkung könnte es haben, wenn diese Erwartung eintrifft), aber eben auch nach Confidence (Wie sehr kann ich vertrauen, dass diese Erwartung eintrifft). Vertrauen ist damit ein ausschlaggebender Faktor, wenn wir die vielen Erwartungen bewerten, um uns zu entscheiden. Ohne Vertrauen wären wir unfähig zu entscheiden oder zu handeln. 

Wie entwickelt sich das Vertrauen im Laufe der Zeit, und welche Rolle spielen Erfahrungen und Kommunikation dabei?

Ron Hofer: Generell ist Vertrauen etwas, was wir lernen. Und es gibt gute Modelle, die beschreiben, wie  «lernen» funktioniert – zum Beispiel die vier Lernphasen in der «Conscious Competence Ladder» von Noel Burch.

Anfänglich kenne ich die Erwartung gar nicht, daher fällt mir auch nicht auf, dass mir Vertrauen fehlt. Dann lerne ich eine neue Erwartung kennen und merke «mir fehlt das nötige Vertrauen». Ich muss mich nun bewusst mit der Erwartung beschäftigen, um ausreichendes Vertrauen aufzubauen (wenn ich diesen Aufwand wirklich betreiben will), bis ich in der letzten Phase unterbewusst in die Erwartung vertraue. Vertrauen aufbauen heisst Vertrauen lernen.

Im Vertrauensbruch, den wir vorher angesprochen haben, werden wir zum Beispiel aus dem intuitiven unterbewussten Vertrauen der letzten Phase zurückgeworfen und müssen uns wieder bewusst mit dem Vertrauen beschäftigen.

Du hattest vorhin die Trust by Design Methodologie angesprochen. Wo kann man dazu mehr erfahren?

Ron Hofer: Ich konnte die Methodologie mittlerweile in vielen Kundenprojekten erfolgreich anwenden. Öffentlich zugänglich sind bisher aber nur Teile davon, wie das «Give and Take in Time» Canvas. Ich schreibe aber schon fleissig an einem Playbook dazu unter dem Titel «The trust proposition», das voraussichtlich 2024 heraus kommt.

 

Ron Hofer ist externer Experte für Kundenfokus bei Stimmt AG und Gründer von trustpatterns.org. 2008 gründete er die Customer Experience Beratung USEEDS in Berlin und war Chief Experience Officer der SYZYGY AG. Er berät Unternehmen bei der kundenzentrierten Unternehmensausrichtung und ist Spezialist im Schaffen und Bewahren von Vertrauenswürdigkeit in B2C und B2B Kundenbeziehungen (Trust by Design)

Quelle: Niklas Luhmann, Trust and Power, Wiley 1978 / 2017, ISBN: 978-1-509-51945-3

Ihr Ansprechpartner für Fragen und weitere Informationen:

Ron Hofer
ron.hofer@stimmt.ch
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